Warum NGOs 2025 zur strategischen Säule internationaler Zusammenarbeit werden
Die UNHCR-Konferenz 2025 zeigt: NGOs sind längst mehr als Hilfsorganisationen – sie werden zu gleichberechtigten Partnern globaler Politik. Doch diese neue Rolle bringt Chancen und Konflikte zugleich.
Ein neuer Ton in der Zusammenarbeit
„Die Zukunft humanitärer Hilfe hängt von echter Partnerschaft ab.“ Mit diesen Worten eröffnete UNHCR-Generalsekretär Filippo Grandi die diesjährigen Regional NGO Consultations 2025 in Genf. Was auf den ersten Blick wie eine diplomatische Floskel klingt, markiert tatsächlich eine tiefgreifende Veränderung in der internationalen Zusammenarbeit.
Während NGOs früher oft als reine Umsetzer internationaler Programme galten – abhängig von politischen Agenden, wechselnden Budgets und strengen Vorgaben –, spricht die UNHCR nun von einer „strategischen Partnerschaft“. Das bedeutet: Nicht mehr nur ausführen, sondern mitgestalten.
Mehr als 250 Vertreterinnen und Vertreter von NGOs aus über 40 Ländern nahmen an der Konferenz teil. Neben großen Namen wie dem Norwegischen Flüchtlingsrat oder Save the Children saßen dort auch kleinere Organisationen aus dem Balkan, Nordafrika und der Ukraine am Tisch. Ihr gemeinsames Ziel: Wege zu finden, wie humanitäre Arbeit effektiver, gerechter und nachhaltiger gestaltet werden kann.
Lokale Akteure im Fokus
Einer der zentralen Schwerpunkte der diesjährigen Gespräche war die Lokalisierung – also die stärkere Einbindung lokaler NGOs und zivilgesellschaftlicher Akteure in Entscheidungsprozesse und Mittelvergabe.
In den vergangenen Jahren ist die Kritik an der Dominanz großer internationaler Organisationen gewachsen. Zu oft, so die Stimmen kleinerer NGOs, würden Mittel in administrativen Strukturen der „globalen Nord“-Organisationen versickern, während lokale Partner lediglich die operative Arbeit leisten – ohne Mitsprache oder langfristige Finanzierung.
UNHCR hat darauf reagiert: Bereits im Frühjahr kündigte die Organisation an, dass künftig mindestens 25 Prozent der humanitären Mittel direkt an lokale NGOs fließen sollen. „Wir müssen Macht und Verantwortung teilen, wenn wir echte Wirkung erzielen wollen“, so Grandi.
Diese Entwicklung ist für viele Beobachter ein längst überfälliger Schritt. „Lokale Organisationen verstehen die kulturellen, sozialen und politischen Realitäten vor Ort am besten“, erklärt die syrische Aktivistin Noura Al-Hamidi, Gründerin der NGO Human Bridges. „Aber sie werden oft übersehen, weil sie nicht dieselben administrativen Kapazitäten oder englischsprachigen Berichtsformate haben wie große Partner.“
Die neue Rolle von NGOs: Mitgestalten statt ausführen
Die UNHCR-Consultations machen deutlich, dass NGOs immer stärker zu politischen Akteuren werden. Ihre Rolle wandelt sich von der „helfenden Hand“ zur „koordinierten Stimme“.
Konkret bedeutet das: NGOs sollen künftig stärker in strategische Entscheidungsprozesse einbezogen werden – etwa bei der Planung von Flüchtlingsunterkünften, Bildungsprogrammen oder digitalen Identitätssystemen. Auch Themen wie Datensicherheit, Ethik und Rechenschaftspflicht rücken stärker in den Vordergrund.
Ein Beispiel ist die geplante Koordinierungsplattform „Humanitarian Data Bridge“, an der derzeit mehrere NGOs gemeinsam mit UNHCR und Tech-Partnern arbeiten. Sie soll ermöglichen, dass Hilfsorganisationen Daten sicher austauschen, ohne Abhängigkeiten von privaten Konzernen zu schaffen.
Damit verschiebt sich auch das Machtgefüge in der internationalen Hilfe: Wer über Daten, Kommunikation und Zugang verfügt, gestaltet die Politik. NGOs werden somit zu aktiven Stakeholdern, nicht nur zu Dienstleistern.
Herausforderung: Vertrauen, Transparenz und Finanzierung
Doch diese neue Partnerschaft ist kein Selbstläufer. Viele NGOs klagen über ungleiche Voraussetzungen: Während große internationale Organisationen über erfahrene Rechtsabteilungen und Fundraising-Teams verfügen, kämpfen kleinere Akteure um bürokratische Anerkennung und Zugang zu Fördermitteln.
Zudem bleibt das Thema Transparenz ein kritischer Punkt. Je enger die Kooperation zwischen internationalen Institutionen und NGOs wird, desto stärker wächst auch der Druck auf Rechenschaftspflicht. Besonders in Europa fordern Regierungen und Kontrollorgane mittlerweile detaillierte Nachweise, wie Fördergelder verwendet werden – ein Prozess, der für kleinere NGOs schnell zur administrativen Überforderung werden kann.
„Es ist ein Balanceakt“, sagt Carla Meier, Projektleiterin der Schweizer NGO Global Aid Watch. „Wir wollen Partnerschaft, keine Kontrolle. Aber Vertrauen entsteht eben auch durch klare Regeln – und diese müssen für alle gelten.“
Ein neues Selbstverständnis der Zivilgesellschaft
Die NGO-Konsultationen 2025 zeigen auch, dass sich das Selbstverständnis der Zivilgesellschaft verändert. Viele Organisationen begreifen sich heute als politische Akteure – nicht parteilich, aber meinungsstark.
In Fragen wie Klimamigration, Digitalisierung oder globaler Gerechtigkeit beanspruchen NGOs zunehmend Mitsprache auf Augenhöhe mit Staaten und Wirtschaft. „Unsere Aufgabe ist nicht, Lücken zu füllen, die Regierungen hinterlassen“, sagt Jean-Claude Okeke von der nigerianischen NGO GreenFront Africa. „Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass diese Lücken gar nicht erst entstehen.“
Diese Haltung spiegelt sich auch in der Kommunikation wider: Immer mehr NGOs betreiben eigene Medienplattformen, veröffentlichen Berichte, führen Kampagnen durch – und nehmen Einfluss auf öffentliche Diskurse. Damit wachsen ihre Reichweite und ihre Verantwortung zugleich.
Der Ausblick: Kooperation statt Konkurrenz
Was sich in Genf zeigte, war weniger ein Paradigmenwechsel als ein Reifungsprozess. Die internationale Gemeinschaft erkennt zunehmend, dass komplexe Krisen – von Fluchtbewegungen bis zur Klimakatastrophe – nicht allein durch staatliche oder multilaterale Programme gelöst werden können.
NGOs sind keine Bittsteller mehr, sondern Teil der Lösung. Doch damit diese Partnerschaft funktioniert, braucht es klare Strukturen, faire Finanzierung und gegenseitiges Vertrauen.
„Partnerschaft heißt nicht, dieselben Interessen zu haben“, resümierte Grandi am Ende der Konferenz. „Aber es heißt, dass wir dieselben Menschen schützen wollen. Und das ist ein Ziel, das groß genug ist, um uns zu verbinden.“
Fazit
Die Regional NGO Consultations 2025 markieren einen Wendepunkt: Die Ära der klassischen Trennlinie zwischen „Gebern“ und „Empfängern“ geht zu Ende. NGOs rücken ins Zentrum globaler Entscheidungsprozesse – als Gestalter, als Kontrollinstanz, als Stimme der Menschen vor Ort.
Doch mit wachsender Macht kommen auch neue Pflichten: mehr Transparenz, mehr Professionalität, mehr Verantwortung.
Wenn diese Balance gelingt, könnte aus der „Hilfsindustrie“ des 20. Jahrhunderts tatsächlich eine globale Partnerschaft des 21. Jahrhunderts entstehen.