Soziale Arbeit im Zeichen der
Klimakrise
Von Hitzewellen bis Hochwasser: Wie die Klimakrise die Anforderungen an soziale Berufe verändert – und warum Klimaschutz auch soziale Gerechtigkeit braucht.

Die Klimakrise ist längst nicht mehr nur ein ökologisches Problem – sie ist ein gesellschaftliches. Steigende Temperaturen, Extremwetterereignisse und langfristige Umweltveränderungen treffen besonders jene, die ohnehin schon am Rand stehen: Menschen in Armut, mit Behinderung, chronischen Erkrankungen oder ohne Obdach. Für die Soziale Arbeit bedeutet das: Ihre Aufgaben werden vielfältiger, dringlicher – und politischer. Doch wie genau wirkt sich die Klimakrise auf die Soziale Arbeit aus? Und wie können soziale Einrichtungen sich anpassen?
Extremwetter und Gesundheit – Wenn Hitze zur Bedrohung wird
Studien des Robert Koch-Instituts und der WHO zeigen deutlich: Hitzewellen sind eine wachsende Gesundheitsgefahr, insbesondere für ältere Menschen, Kinder und sozial benachteiligte Gruppen. Die Soziale Arbeit steht dabei zunehmend an vorderster Front. Ob in der Pflege, der Obdachlosenhilfe oder in Kindertagesstätten – Fachkräfte müssen in Zeiten extremer Hitze nicht nur betreuen, sondern auch schützen: durch einfache Präventionsmaßnahmen, Netzwerke lokaler Hilfe und politische Interessenvertretung.
Starkregen, Überschwemmungen oder Stürme haben weitere psychosoziale Folgen. Menschen verlieren ihre Wohnungen, Jobs oder Angehörige – und suchen Halt bei sozialen Einrichtungen. Psychosoziale Notfallversorgung, Traumabegleitung und Wiederaufbauhilfe werden zur neuen Realität vieler Sozialarbeiter:innen.
Urbane Räume als Brennpunkte – Klimabelastung in Städten
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Erderwärmung gewinnen Städte als Brennpunkte klimatischer Belastungen stark an Bedeutung. Hitzewellen treffen urbane Räume besonders hart, da sich dort sogenannte Wärmeinseln bilden: Dichte Bebauung, versiegelte Flächen und fehlende Durchlüftung führen zu deutlich höheren Temperaturen – mit massiven gesundheitlichen und sozialen Folgen.
Bereits heute lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Bis 2050 wird ein Anstieg auf über zwei Drittel erwartet (UN-Habitat 2022). Allein zwischen 2015 und 2020 wuchs die städtische Bevölkerung um fast 400 Millionen Menschen. Besonders betroffen sind strukturell benachteiligte Quartiere – genau dort, wo soziale Angebote ohnehin am dringendsten gebraucht werden.
Klimakonzepte – Noch selten, aber dringend nötig
Viele soziale Einrichtungen verfügen bislang über keine systematischen Klimaanpassungskonzepte. Dabei sind diese essenziell, um im Krisenfall strukturiert und wirksam reagieren zu können. Ein gutes Konzept beinhaltet:
Risikoanalysen für bestimmte Standorte und Zielgruppen
Notfallpläne bei Extremwetter
Maßnahmen für Hitze-, Kälte- und Unwetterperioden
Fortbildungen für Mitarbeitende
Kommunikation mit lokalen Behörden und dem Katastrophenschutz
Initiativen wie das „Zentrum für Klimaanpassung“ (gefördert vom BMUV) versuchen, diese Lücke zu schließen – doch bisher fehlt es an Ressourcen, Wissenstransfer und politischer Unterstützung.
Umweltmigration – Die „neuen“ Klimaflüchtlinge
Ein oft übersehener, aber wachsender Aspekt: die Umweltmigration. Durch Dürren, Überflutungen, den Anstieg des Meeresspiegels oder Ressourcenknappheit sind immer mehr Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen – sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Länder. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass bis 2050 bis zu 200 Millionen Menschen weltweit durch klimatische Veränderungen vertrieben werden könnten.
Diese Entwicklung betrifft auch Deutschland und Europa. Kommunen, Unterkünfte und soziale Dienste stehen vor der Herausforderung, Menschen mit komplexen Traumata, kulturellen Hintergründen und Unsicherheiten zu begleiten. Die Soziale Arbeit muss sich daher auch als Akteurin der globalen Gerechtigkeit verstehen – mit transkulturellen Kompetenzen, interdisziplinärer Vernetzung und politischem Bewusstsein.
Klimakrise verstärkt soziale Ungleichheit – und umgekehrt
Der Klimawandel zeigt die Grenzen der neoliberalen Ökonomie auf – und bringt neue soziale Spannungen hervor. Extreme Wetterereignisse, Umweltflucht und Ressourcenknappheit führen zu Ungleichheit. Während 1990 noch 62 % der globalen Emissionen durch Unterschiede zwischen Ländern verursacht wurden, gehen heute zwei Drittel auf soziale Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften zurück (Chancel et al. 2022).
Reiche Haushalte treiben die Klimakrise durch Luxuskonsum und klimaschädliche Investitionen an, während ärmere Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig unter den Folgen leiden (Chancel/Piketty 2015). Die Soziale Arbeit steht hier vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss nicht nur helfen, sondern zunehmend sozial-ökologische Gerechtigkeit einfordern.
Klimaschutz darf nicht zur sozialen Belastung werden
Klimaschutzmaßnahmen wie CO₂-Steuern oder strengere Umweltauflagen können – ohne soziale Ausgleichsinstrumente – insbesondere einkommensschwache Haushalte überproportional treffen. Diese Dynamik wird häufig von populistischen Diskursen aufgegriffen, um Klimaschutz als „sozial ungerecht“ darzustellen (Sommer et al. 2022).
Doch das Gegenteil ist nötig: Nur eine sozial gerechte Gesellschaft kann nachhaltigen Klimaschutz tragen. Armut behindert das Zukunftsbewusstsein, das notwendig ist, um langfristige Ziele wie Nachhaltigkeit und Resilienz ernst zu nehmen (vgl. UN SDG 1). Die Soziale Arbeit muss sich deshalb verstärkt als Gestalterin eines gerechten Wandels positionieren – im Dialog mit Politik, Umweltakteuren und Gesellschaft.
Fazit: Soziale Arbeit als Schlüsselakteurin im Klimawandel
Die Klimakrise verändert die Welt – und mit ihr die Rolle der Sozialen Arbeit. Was früher als „klassische Unterstützung“ galt, wird heute zu Resilienzarbeit, Krisenbegleitung und sozialer Klimagerechtigkeit. Urbane Hitzezonen, Umweltmigration, wachsende Ungleichheiten und politische Spannungen zeigen: Die Soziale Arbeit wird zur Schlüsselressource im sozial-ökologischen Wandel.
Soziale Gerechtigkeit ist Klimaschutz. Und Klimaschutz ist soziale Verantwortung.
Quellen (Auswahl):
Robert Koch-Institut (RKI): Hitzeaktionspläne
UN-Habitat (2022): Urbanization Trends
Chancel et al. (2022): World Inequality Report
Chancel/Piketty (2015): Carbon Inequality
Sommer et al. (2022): Klimapolitik und Populismus
WHO: Climate Change and Health
Internationale Organisation für Migration (IOM)